19. Bremer Schifffahrtskongress 2025: Fachkräfte sichern – Zukunft gestalten

Die maritime Wirtschaft will sich verstärkt darum bemühen, qualifizierte Beschäftigte langfristig im jeweiligen Unternehmen zu halten. Das ist während des 19. Bremer Schifffahrtskongress in einem gemeinsamen Workshop des Maritimen Clusters Norddeutschland (MCN) und der Berufsbildungsstelle Seeschifffahrt (BBS) am 12. November deutlich geworden. Als Beispiel für innovative Ideen galten dort Aktivitäten der Bremerhavener Heinrich Rönner Gruppe. Musterlösungen gebe es aber nicht, betonte der bei Kienbaum Consultants International in Hamburg für den Bereich „Leadership & Transformation“ verantwortliche Finn Rischke: „Das Thema Retention Management ist ein komplexes Problem.“

Neben dem branchenübergreifenden Fachkräftemangel steht auch die maritime Wirtschaft vor besonderen personalpolitischen Herausforderungen. In dem von Dr. Susanne Neumann (Leiterin der MCN-Geschäftsstelle Niedersachsen) und Sabine Zeller (Geschäftsführerin der Berufsbildungsstelle Seeschifffahrt e. V.) moderierten Workshop zum Thema Retention Management wurde deutlich, dass es nicht allein darum geht, Fluktuation zu vermeiden, sondern darum, Bindung der richtigen Mitarbeitenden aktiv zu gestalten. Ziel sei es, Mitarbeitende mit geschäftserfolgsrelevanten – also kritischen – Kompetenzen langfristig im Unternehmen zu halten, so die Moderatorinnen. Retention Management umfasse alle strategischen und operativen Maßnahmen, die Motivation, Entwicklung und Identifikation fördern – von guter Führung über Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten bis hin zu Unternehmenskultur, Sinnstiftung und Kommunikation.

„Personalthemen sind in der Schifffahrt längst ein strategischer Faktor“, betonte der MCN-Vorsitzende Prof. Bastian Gruschka. „Wenn wir Zukunftsthemen wie Dekarbonisierung und Digitalisierung erfolgreich gestalten wollen, müssen wir Personalentwicklung, Qualifizierung und Personalerhalt konsequent mitdenken.“ Der Bremer Schifffahrtskongress ist für den MCN der geeignete Ort, im direkten Dialog die Herausforderungen für die Branche zu diskutieren und Lösungsansätze zu entwickeln. „Wir begegnen Akteurinnen und Akteuren aus ganz unterschiedlichen maritimen Bereichen. Als Mitveranstalter und mit unserem Workshop-Beitrag bringen wir das Wissen aus unserem Netzwerk aktiv ein“, so Gruschka.

In der Diskussion mit den Teilnehmenden wurde deutlich, dass maritime Unternehmen zunehmend zwischen den Welten von See und Land agieren müssen: Während die Arbeit an Bord physisch und psychisch fordert und oft wenig Raum für Work-Life-Balance lässt, gelingt es an Land nicht immer, die Faszination der maritimen Berufe zu vermitteln. Als zentrale Faktoren für erfolgreiche Mitarbeiterbindung nannten die Teilnehmenden ein wertschätzendes Miteinander, Verlässlichkeit, offenes Feedback und ein gutes Arbeitsklima – Faktoren also, die emotionale, rationale und kulturelle Bindung zugleich stärken.

Dass die maritime Wirtschaft mehr gegen eine in vielen Unternehmen wachsende Fluktuation tun müssen, stand in dem Workshop außer Frage. „Fluktuation ist aber keine Naturgewalt“, betonte der Unternehmensberater und Psychologe Finn Rischke. Die Ursache für eine steigende Zahl von wechselwilligen Beschäftigten zu suchen, sei zudem keine Frage von Schuld, sondern ein Thema für praktizierte Verantwortung. Allerdings gebe es kein Patentrezept für das sogenannte „Retention Management“, wie die strategische Mitarbeiterbindung im Fachjargon genannt wird: „Das Thema und die Ursachen verändern sich ständig.“ Wichtig sei es, die eigenen Personaldaten im Blick zu behalten, beginnende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und die möglichen Ursachen zu erkennen.

Eindringlich warnte Rischke davor, auf eine wachsende Fluktuation mit einfachen Zugeständnissen zu reagieren: „Niemand bleibt im Unternehmen, nur weil er ein Jobrad bekommt oder ein Obstkorb ins Büro gestellt wird.“ Doch wenn das Jobrad wieder weggenommen und der Obstkorb weggeräumt wird, „entsteht auf einmal Unzufriedenheit.“ Wenn ein Unternehmen die Beschäftigten an sich binden möchte, „muss es die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Mitarbeitenden nachhaltig zufrieden sind“. Im Retention Management müsse sich die Unternehmensführung aber auch klar werden, „wen wollen wir halten und wer kann gehen, wenn er oder sie es möchte“.

Besonderes Interesse fanden in dem Workshop die Praxiserfahrungen von Michael Heyer, Personalleiter der Bremerhavener Heinrich Rönner Gruppe. Als Heyer dort vor rund 20 Jahren anfing, habe die Gruppe aus einer Handvoll Unternehmen mit etwa 500 Beschäftigten bestanden. Mittlerweile umfasst Rönner mehr als 20 Firmen mit rund 2.000 Beschäftigten. In einer gemeinsamen Runde aller Geschäftsführer:innen aus diesen Betrieben zwischen Cuxhaven und Sachsen-Anhalt stellte Heyer fest, dass es in jeder Firma eine andere Kultur und Philosophie im Umgang mit dem Thema Mitarbeitende gab. „Kennen wir unsere Beschäftigten eigentlich?“, blieb im Anschluss als Frage im Raum stehen.

In einer daraufhin extern durchgeführten Mitarbeiterbefragung wurde deutlich, dass die Beschäftigten tatsächlich von den Führungsebenen ein größeres Interesse an den Belegschaften erwarteten. „Gut 90 Prozent der Beschäftigten haben an der Befragung teilgenommen, das ist ein sehr hoher Wert“, berichtete Heyer auf dem Bremer Schifffahrtskongress. Augenscheinlich vermissten viele in den Betrieben ein Zusammengehörigkeitsgefühl und eine Wertschätzung ihrer Arbeit.

Heyer und die Geschäftsführenden zogen daraufhin Konsequenzen: „Unser erster Schritt war es, den Mitarbeitenden deutlich zu signalisieren: Ihr seid uns wichtig“, berichtete Heyer. Bis dahin lag der Fokus beispielsweise bei Stapelläufen auf den Eigner:innen des Neubaus, den Finanzierenden und der regionalen Politik. Die Beschäftigten kamen zwar auch zu diesen Veranstaltungen, „aber jetzt haben wir ihnen einen eigenen Bereich gegeben“, so Heyer, „schließlich sind sie es, die das Schiff gebaut haben. Und sie sind zu Recht stolz darauf.“ Die Rönner-Firmen haben es häufig mit kurzfristigen und dringenden Aufträgen zu tun. „Darunter leiden dann die Familien, weil dann manchmal auch übers Wochenende gearbeitet werden muss“, betonte Heyer. Die Gegenmaßnahme: In den Firmen gibt es jetzt mindestens einmal im Jahr einen Familientag, an dem die Beschäftigten und ihre Angehörigen gemeinsam auf dem Betriebsgelände feiern.

Doch Rönner belässt es nicht bei den großen Zeichen für ein besseres Miteinander – die Personalverantwortlichen suchen auch im Detail nach Veränderungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten. „Wenn uns jemand verlassen möchte, unterhalten wir uns noch einmal mit ihm“, sagte Heyer. Dabei sei es nicht das Ziel, die Person zum Bleiben zu bewegen: „Wir möchten die Gründe für den Weggang erfahren, damit wir daraus lernen können.“ Das Signal, dass Rönner die Beschäftigten wichtig sind, ist augenscheinlich auch außerhalb der Firmen angekommen: „Die Zahl der Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz bei uns hat sich verdreifacht.“

Das Fazit des Workshops: Erfolgreiche Mitarbeiterbindung entsteht nicht durch Einzelmaßnahmen, sondern durch eine gelebte Haltung, die auf Interesse, Vertrauen und Wertschätzung basiert. Nur wenn Unternehmen Retention Management als strategische Führungsaufgabe begreifen, können sie langfristig ihre Zukunftsfähigkeit sichern – gerade in der maritimen Branche.

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